Dem letzten Heinstermüller Leonhard Heß zum Gedenken

Der letzte Heinstermüller Leonhard Heß mit Gattin Margarethe | Foto: Archivbild
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„Die Heinstermühle“ - ehemals Erbleihmühle der Erbacher Grafen – 2. Teil

Die Geschichte der Heinstermühle wäre unvollständig, würde man nicht dem letzten Heinstermüller Leonhard Heß gedenken. Er war ein „Odenwälder Original“ reinsten Wassers. Seine Lieblingsbeschäftigung, das Erzählen von Geschichten, beherrschte er in vollendeter Form. Die fehlende Sonneneinstrahlung in den Herbst- und Wintermonaten im düsteren Heinstertal begünstigte natürlich auch das Entstehen allerlei gruseliger und schauriger Geschichten. Zudem lieferte die direkte Lage an der Hessisch-Bayerischen Grenze genug Stoff für Wilderer- und Schmugglergeschichten. Heß erzählte nicht nur Geschichten, er schrieb sie auch auf. Wie viele Stunden mag er in seiner Wohnstube am Abend oder an den Sonn- und Feiertagen mit dem Schreiben verbracht haben. 1928 begann er die Geschichte der Heinstermühle aufzuschreiben, ab 1936 die Chronik des Dorfes Würzberg. Zu seinen Aufzeichnungen gehörten die Schulgeschichte Würzbergs, die Tagebücher von 1957 bis 1966 sowie 124 Aufsätze für die Odenwälder Heimatzeitung. Zu Recht ehrte ihn seine Heimatgemeinde Würzberg 1966, kurz vor seinem Tod im Jahre 1967, mit der Verleihung der Ehrenbürgerrechte.

Sein Leben und seine Zeit
Als Leonhard Heß am 7. Mai 1886 in der Heinstermühle geboren wurde, befand sich Deutschland im Zeitalter des Kaiserreichs, das besonders durch Reichskanzler Bismarck geprägt war. Mit der Verfassung von 1871 war Deutschland zwar ein Bundesstaat geworden, einzelnen Bundesstaaten sprach die Verfassung aber Sonderrechte zu. Sie betrafen vor allem die Eisenbahn, das Post- und Telegrafenwesen, das Militär, die Branntwein- und Biersteuer sowie die allgemeine Staatsverwaltung. Diese Gebiete waren von der Aufsicht und Gesetzgebung des Reiches befreit. So ist auch zu verstehen, dass die Grenze zwischen dem Großherzogtum Hessen und dem Königreich Bayern noch eine wirkliche Grenze war. Dass dadurch auch das Schmuggelwesen zum Beispiel durch Viehhändler, oder die Wilderei eine gewisse Blütezeit erlebte, erklärt sich von selbst. Es war ja die Armut zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die die Menschen damals prägte. Die armseligen Dörfer, ohne Straßenpflaster, ohne elektrisches Licht, die Häuser noch zum Teil mit Stroh bedeckt. Das Dorf, die direkte Lage an der Grenze zu einem anderen Land, der Wald mit seiner Einöde, sie alle gaben den Rahmen, den Stoff zu Anekdoten und Geschichten.

Eine kleine Kostprobe
Typisch für Heß waren seine Schauergeschichten, wie zum Beispiel diese aus der Zeit, als es in Michelstadt noch einen Scharfrichter gab, der einmal zwei Hinrichtungen vorzunehmen hatte. Er wurde mit verbundenen Augen über mehrere Stunden per Pferdekutsche zum Ort des Ereignisses gefahren. Damit sollte er nicht erfahren, wo er seines Amtes waltete. Oder die Geschichte vom Schneider Emig aus dem Eutergrund, der alljährlich zwei Wochen in der Heinstermühle verbrachte, um dort Kleidung, Säcke und mehr instand zu setzen. Auf dem Weg nach Hause sprang ihm ein Gespenst auf den Rücken, das er eine lange Wegstrecke tragen musste. Tatsächlich hatte das Gespenst den Mann verwechselt, es hatte einen anderen Mann zum „Rendezvous“ erwartet. Oder das traurige Ereignis, als zwei total betrunkene Waldarbeiter beim Rindenschälen aneinander geraten waren und einer sein Leben lassen musste. Die Gerichtskommission aus Darmstadt kam nach Würzberg, um den Kopf des Erschlagenen mitzunehmen. Da die Gesandten noch in Eulbach einkehrten, blieb ihre makabre Fracht bei den Gästen im Lokal nicht ganz unbemerkt.

Der Nachlass
Das Stadtarchiv Michelstadt besitzt den schriftlichen Nachlass von Leonhard Heß in Form von zahlreichen Tagebüchern, Chroniken und ein umfangreiche Sammlung von Beiträgen für Zeitungen. Die meisten Artikel sind zwischen 1930 und 1945 und nach dem Krieg zwischen 1950 und 1970 erschienen. Nachstehend eine kleine Auswahl der bevorzugten Themen:“ Abergläubige Gebräuche und dergleichen vor 140 Jahren im Odenwald - Bäuerliche Verhältnisse in der Grafschaft Erbach von 170-200 Jahren - Das Österreicher-Denkmal an der Straße Amorbach-Boxbrunn-Eulbach-Michelstadt - Der Karrfranz - Der Raubmord am 19. August 1792 auf der Eulbacher Straße - Die Schatzgräber auf der Wildenburg - Ein Eulbacher Bauer als Verräter im 30jährigen Krieg“. Paul Krommes, ein aus Offenbach stammender Studienrat, Zeichner und Graphiker hat um 1938 an den Wänden des Wohnzimmers der Familie Heß einige dieser Geschichten szenisch dargestellt.

Die Botschaft für nachfolgende Generationen
Studenten, Historiker und Heimatforscher waren oft Gäste in der Heinstermühle. Leonhard Heß konnte ihnen durch sein Fachwissen behilflich sein. Er hatte keine akademische Ausbildung und konnte auch nicht eine höhere Schule besuchen. Zum Teil hat er sich sein Wissen durch zahlreiche Besuche in Archiven in Darmstadt, Amorbach und Würzburg angeeignet. Vor allem aber hat er sich sein Fachwissen von den Menschen selbst gebildet. Er konnte sich gut mit ihnen unterhalten, hatte ein scharfes Gedächtnis und eine gut lesbare, saubere Schrift. So erzählte er gerne und schrieb vieles auf, um es der Nachwelt zu erhalten. Er war überzeugt, dass man aus der Geschichte lernen müsse und dies auch den nachkommenden Generationen weitergeben solle. Seine Botschaften waren - Bescheidenheit und Einfachheit - die unser Leben bereichern. Leonhard Heß war Botschafter seiner Heimat und Chronist seiner Zeit.

Autor:

Bernhard Setzer aus Breitendiel

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