Der Kreuzweg in 12 Gedichten
Die Passion Christi - Eine Elegie zu Ostern
- hochgeladen von Gerardus Wilhelmus Theodorus Cornielje Baron von Sachsen
Die Passion Christi
I.
Ein Mann schreitet in den Tod mit Sand in den Augen.
Er sieht zu viel und zu wenig.
Die Olivenbäume neigen sich vor, um zu hören,
was er nicht sagt.
Seine Freunde schlafen wie Steine unter einem Mond,
der vergessen hat, wie man sanft ist.
Schweiß tropft von ihm – dicker als Schweiß,
eine rote Karte von Städten, die er nie betreten wird.
Er weiß, was geschrieben steht.
Doch selbst dieses Wissen
brennt.
II.
Der Kuss ist keine Liebe.
Der Kuss ist ein Schlüssel.
Metall auf Wange gedrückt.
Das Tor öffnet sich nach innen.
Er ist allein unter Menschen,
die schreien,
die ihr eigenes Schreien nicht hören können,
die ein Spektakel wollen
aber Wunder fürchten.
Sie wollen Blut, das Gesetze rechtfertigt.
Sie wollen Knochen, die sie zählen können.
III.
Er sagt:
„Das ist mein Leib.“
Und die Welt antwortet:
„Dann gib ihn her.“
Die Nägel warten geduldig in der Kälte.
Sie träumen nicht.
Sie wissen nicht.
Sie dringen ohne Frage ins Fleisch.
Der Körper öffnet sich wie eine Schriftrolle.
Ein Dorn zieht seine Gedanken an die Oberfläche,
einen nach dem anderen.
Er schmeckt jeden
wie bitteren Wein.
IV.
Liebe,
die wir wie eine Münze verwenden,
wird hier in den Staub geleert.
Sie beobachtet – seine Mutter –
der Tempel seines ersten Atemzugs,
nun Zeugin des letzten.
Sie schreit nicht.
Sie faltet den Moment in ihren Händen
als wäre es Wäsche,
warm von der Leine,
bereits befleckt.
Ihr Kummer ist älter als die Zeit,
doch er wird nicht müde.
Er wartet.
V.
Er stolpert.
Nicht weil er schwach ist,
sondern weil die Welt schwerer ist als erwartet.
Er trägt alle Worte,
die Menschen je geschärft haben.
Er trägt
deinen Verrat,
meine Gleichgültigkeit,
die verrostete Grammatik des Glaubens.
Er fällt.
Er steht auf.
Er fällt erneut.
Jeder Zusammenbruch ist ein Gebet,
rückwärts gesprochen.
VI.
Die Peitsche
ist ein Fluss der Logik.
Sie erklärt Schmerz
in langen, eloquenten Silben.
Sie schreibt ein neues Evangelium
auf seinen Rücken –
ein Evangelium offener Wunden,
ein Evangelium ohne Metaphern.
Die Wächter weinen nicht.
Ihre Pflicht ist Rhythmus.
Und sie sind gute Musiker.
VII.
Sie wischt sein Gesicht.
Es ist nicht romantisch.
Es ist
die letzte Höflichkeit.
Das Tuch nimmt sein Bild
wie ein Kind seinen ersten Atemzug.
Sie spricht nicht.
Es gibt nichts mehr zu fragen.
Alles ist
bereits
sichtbar.
VIII.
Die Menge
hat sich noch nicht entschieden.
Sie jubeln. Sie spucken. Sie debattieren.
Sie schwenken Zweige und brechen Knochen.
Sie sind wir.
Sie sind nie konsequent,
nur
hungrig.
Er versucht nicht, sich zu erklären.
Er ist die Erklärung.
Er ist die Wunde,
die wir immer wieder öffnen,
damit wir nicht vergessen,
woraus wir gemacht sind.
IX.
Er wird nicht an Holz genagelt –
sondern an die Stille zwischen den Sternen.
An die Frage,
die der Himmel sich weigert zu beantworten.
Er blutet, ja –
aber mehr als das,
er denkt.
Er denkt an
die Frau, die sein Gewand berührte,
das Kind, das über einen Fisch lachte,
die Hände eines Zimmermanns,
die Freude aus Splittern bauten.
Er erinnert sich
an jedes Auge,
das seinem begegnete
und nicht wegsah.
X.
„Vergib ihnen“,
sagt er,
denn wenn er es nicht tut,
wird es niemand tun.
Nicht jetzt.
Nicht in diesem Jahrhundert.
In keinem.
Die Erde bebt
aber spaltet sich nicht.
Er ist allein,
aber nicht vergessen.
Er ist tot,
aber nicht beendet.
Er hängt zwischen
dem, was wir waren
und dem, was wir uns weigern zu werden.
XI.
Ein Grab.
Ein Stein.
Eine Dunkelheit tiefer als Schlaf.
Es gibt kein Lied.
Keinen Chor.
Nur Warten.
Nur den Geruch von Leinen und Eisen.
Und irgendwo,
eine einzelne Zelle
einer einzigen Blume
beginnt
sich zu teilen.
XII.
Auferstehung ist kein
Feuerwerk.
Es ist kein Licht.
Es ist
ein Bluterguss,
der nach drei Tagen gelb wird.
Es ist
eine Wunde,
die nicht nach Tod riecht.
Es ist
ein Mann,
der Fisch isst
mit Händen,
die noch offen sind.
Es ist
die unerträgliche
Möglichkeit,
dass Liebe
tatsächlich
siegen könnte.
Gedicht und Illustration - Gerardus Baron von Sachsen - April 2025
Autor:Gerardus Wilhelmus Theodorus Cornielje Baron von Sachsen aus Wertheim |
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.